Dekarbonisierung & Renaturierung – eine Doppelstrategie zur Erreichung der Klimaziele?
Um die angestrebten Klimaziele zu erreichen, müssen wir alle zusammenarbeiten und uns bewusster um unsere Umwelt kümmern. Nur durch gemeinsame Umsetzung der richtigen Maßnahmen haben wir eine Chance, die Welt wieder gesünder zu machen. Zwei zentrale Schlagworte in diesem Kontext lauten: Dekarbonisierung und Renaturierung. Die beiden Konzepte bieten viele Möglichkeiten, das Klima und die Artenvielfalt sowohl auf technischer Ebene in der Gesellschaft als auch auf individueller Ebene im täglichen Leben zu schützen. Welche konkreten Maßnahmen kommen zur Dekarbonisierung und Renaturierung infrage und wie lassen sie sich in ein klimapolitisches Gesamtkonzept zum Nutzen aller integrieren?
Definition: Was versteht man unter Dekarbonisierung und Renaturierung?
Werfen wir zunächst einen Blick darauf, was sich hinter den angesprochenen Begriffen verbirgt. Als De- oder Entkarbonisierung bezeichnet man die stufenweise Ablösung von Kohlenstoffdioxid-verursachenden Prozessen und Handlungen in der Wirtschaft durch Tätigkeiten, bei denen kein oder nur sehr wenig CO2 freigesetzt wird. Dekarbonisierung ist insbesondere in der Energiewirtschaft ein notwendiger Prozess. Hier werden fossile Brennstoffe wie Kohle, Erdgas oder Erdöl durch erneuerbare Energien ersetzt – die sogenannte Energiewende. Durch den Verzicht auf emissionsintensive Energieträger wird der Treibhauseffekt und damit der mit fatalen Folgen verbundene Klimawandel eingedämmt.
Der Renaturierungs-Begriff umfasst alle Maßnahmen zur Rückversetzung von stark beeinträchtigten oder zerstörten Ökosystemen in einen naturnahen Zustand. Durch die Wiederherstellung von naturnahen Lebensräumen erhöht sich die Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt. Renaturierung hat einen direkten, positiven Einfluss auf die Biodiversität unserer Umwelt. Deshalb gewinnt sie im klimapolitischen Kontext zunehmend an Bedeutung.
Dekarbonisierung: Warum ist sie so wichtig?
Die EU hat im Rahmen des European Green Deal beschlossen, dass alle 27 Mitgliedsländer bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden sollen. Klimaneutral bedeutet: Es wird weniger Kohlenstoff emissioniert als zeitgleich Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Kohlenstoffsenken aufgenommen und abgebaut werden kann. Man spricht in diesem Zusammenhang von Netto-Null-Emissionen. Ohne eine umfassende Dekarbonisierung der Wirtschaft und des Alltags ist das Ziel Netto-Null nicht erreichbar. Da der Energiesektor die meisten Emissionen verursacht, gilt er als Ansatzhebel Nr. 1 für die Reduzierung der Emissionslast.
Industrie, Verkehr und Gebäude – welche Ansatzhebel zur Dekarbonisierung gibt es?
Die Dekarbonisierung ist ein vielschichtiger Prozess, der nahezu alle Tätigkeiten in der Industrie und Wirtschaft tangiert. Das größte Einsparpotenzial sehen Fachleute in folgenden drei Sektoren:
- Industrie: Durch die Implementierung klimaneutraler Ersatzoptionen und -routen lässt sich die Menge der prozessbedingten Emissionen in erheblichem Maß verringern.
- Verkehr: Unter dem Oberbegriff der Mobilitätswende gelten folgende Maßnahmen als effektive Ansatzhebel zur Emissionsverringerung: Reduzierung des Individualverkehrs, Verkürzung der zu fahrenden Strecken, strikte Einhaltung von Emissionsgrenzwerten, Ausbau der E-Mobilität und Umstellung von Verbrennungsantrieben auf E-Fuels.
- Gebäudesektor: Alte Bestandsbauten stellen aus klimapolitischer Sicht ein Problem dar, da sie für einen hohen Anteil an Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Um dem entgegenzuwirken, sollten fossile Heizungsanlagen über alternative Energieträger versorgt werden, Wärmepumpen sowie solartechnische Anlagen implementiert werden und Gebäude energetisch saniert werden.
Renaturierung im Wald: Wie lassen sich negative Veränderungen rückgängig machen?
Tatsache ist: Die vielfältigen Eingriffe des Menschen haben das Erscheinungsbild unserer Wälder seit Beginn der Industrialisierung massiv verändert und zu einem signifikanten Absterben von Tier- und Pflanzenarten geführt. Mindestens 680 Wirbeltierarten sind in den letzten Jahrhunderten ausgestorben – nicht zuletzt aufgrund der menschgemachten Veränderungen und der damit einhergehenden Verringerung von Waldfläche, Rückzugsräumen und Nahrungsquellen. Die negativen Veränderungen im Wald lassen sich zwar nicht auf einen Schlag, aber durchaus nach und nach wieder rückgängig machen. Die Menschheit besitzt sowohl die technischen Möglichkeiten als auch das wissenschaftliche Know-how, um den Lebensraum Wald wieder in einen naturgerechten Zustand zu bringen. Oft fehlt lediglich der politische Wille, um dies durchzusetzen. Schauen wir uns ein Beispiel an.
Wie sieht Renaturierung von Wäldern in der Praxis aus?
Bei der Renaturierung von Wäldern geht es vor allem darum, die Voraussetzungen für eine Verjüngung der Natur und für die Entwicklung einer natürlichen Waldstruktur zu schaffen. Dies geschieht beispielsweise, indem Monokulturen durch klimastabile Mischwälder aus Nadel- und Laubbaumarten ersetzt und ergänzt werden. Auch die ökologische Wiederaufforstung von Kahlflächen ist eine wichtige Maßnahme zur Wiederherstellung intakter und artenreicher Mischwälder. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass der vorhandene Wildbestand nicht gefährdet wird und auf die Renaturierung positiv reagiert. Die biologische Vielfalt in Waldgebieten lässt sich zudem durch die Anpflanzung von Heckenlandschaften zusätzlich erhöhen.
Welche Lebensräume können renaturiert werden?
Eine Renaturierung kann überall dort vorgenommen werden, wo natürliche Lebensräume durch den Menschen in den letzten Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten beeinträchtigt wurden. Dazu zählen neben dem bereits beschriebenen Wald auch:
- Feuchtgebiete, Moore und andere wassergeprägte Lebensräume: Hier gilt es, den ursprünglichen, intakten Wasserhaushalt wiederherzustellen.
- Artenreiche Felder und Wiesen: Hier kommt es darauf an, die negativen Effekte einer zu intensiven Nutzung und Düngung rückgängig zu machen.
- Seen und Teiche: Hier sollte der Fokus darauf liegen, die Uferbereiche umzugestalten und Effekte wie Versauerung oder Eutrophierung umzukehren.
- Salzwiesen an Küsten: Hier kann ein Rückbau von Deichen sowie eine angemessene, standortgerechte Beweidung und Mahd erfolgen.
Warum gilt der bisherige Klimaschutz als eindimensional?
Bisher lag der Fokus der Politik vor allem darauf, den CO2-Ausstoß zu mindern. Dabei geriet teilweise in Vergessenheit, dass die Erhöhung der CO2-Absorptionsfähigkeit ebenfalls ein probates Mittel zur Erreichung von Klimazielen ist. Naturelemente wie Parkflächen, Weideflächen, Steppen und natürlich Wälder besitzen die Fähigkeit zur Absorption großer Mengen an CO2und anderen Treibhausgasen. Hierzu sind keine besonderen technischen Mittel erforderlich. Es braucht lediglich einen festen Willen zur Renaturierung. Naturbasierte Maßnahmen wie die oben skizzierten Ansätze sowie die Aushagerung nährstoffreicher Standorte und die Sanierung von Böden sollten ein essentieller Bestandteil jeder zukünftigen Klimapolitik sein.
Kann der Waldbestand ohne Flächenkonflikte erhöht werden?
Die Erhaltung, der Umbau und die Mehrung der Wälder sind zentrale Bausteine zum Schutz von Umwelt und Klima. Wälder binden Kohlenstoffdioxid und tragen somit wesentlich zur Erreichung des Netto-Null-Emissionsziels bei. Vielfach wird die Sorge geäußert, dass der Waldbestand nicht ohne Flächenkonflikte zwischen Mensch, Landwirtschaft, Industrie und Umweltschutz erhalten bzw. erhöht werden kann. Eine aktuelle Computersimulation des Crowther Lab an der ETH Zürich hat das Gegenteil bewiesen: Der weltweite Waldbestand von derzeit 2,8 Milliarden Hektar könnte laut der Simulation ohne Probleme um ein Viertel auf dann 4,4 Milliarden Hektar vergrößert werden.
Welche Argumente sprechen für eine Doppelstrategie?
Eine Doppelstrategie aus Dekarbonisierung auf der einen und Renaturierung auf der anderen Seite ist zweifellos das Mittel der Wahl, wenn es um optimalen Klimaschutz geht. Hier sind einige diskussionswürdige Punkte, die in keiner Argumentation fehlen dürfen:
- Wer für eine Doppelstrategie wirbt, sollte die Machbarkeit und die Realisierungschance der anvisierten Änderungen gut belegen können. Alle verfügbaren Daten zeigen jedoch: Technische Maßnahmen allein reichen nicht aus, um die Klimaziele zu erfüllen. Deshalb gilt es, machbare und realistische Maßnahmen im Sinne der Doppelstrategie aus Minderung und Absorption in die Wege zu leiten.
- Viele erhaltungswürdige und mehrungsbedürftige Kohlenstoffdioxidspeicher befinden sich in Entwicklungs- und Schwellenländern. Eine erfolgreiche Doppelstrategie ist deshalb nicht denkbar ohne internationale Gerechtigkeit und Kooperation. Im Idealfall fördert sie die positive Verzahnung aller Länder.
- Durch ein regionales Engagement in Deutschland bzw. Europa können Unternehmen aktiv dazu beitragen, heimische Wälder wieder aufzubauen und lokal als natürliche CO2-Speicher zu erhalten. So können die Wälder in unserer Heimat für kommende Generationen als intaktes Ökosystem erhalten bleiben, das auch künftig CO2 aus der Luft speichert
- Eine Doppelstrategie führt zu multiplen, synergistischen Effekten auf dem Arbeitsmarkt, in der lokalen Wirtschaft und bei der Reduktion von Armut – etwa durch neue Arbeitsplätze
Ausblick: Was ist in Zukunft zu erwarten?
Der Aufwand für eine umfassende Renaturierung und Dekarbonisierung ist ohne Frage enorm. Dennoch weisen die neuesten Daten und Erkenntnisse darauf hin, dass sich der Aufwand lohnt – auch ökonomisch. Durch das Aufforsten von Wäldern entsteht artenreicher Lebensraum, welches gerade bei der Steigerung von Biodiversität eine herausragende Rolle spielt. Eine hohe Biodiversität ist aus mehreren Gründen ein erstrebenswertes Ziel: Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser, Regulierung des Klimas, Schutz vor Überschwemmungen und Lawinen, Nutzung als natürliche Rückzugs- und Erholungsfläche. Arbeiten wir gemeinsam daran, dass unsere Welt biodivers und damit lebenswert bleibt!
Haben Sie weiterführende Fragen, Informations- oder Handlungsbedarf?
Zum Kontaktformular